Entschuldigung, in Hollywood läuft das aber anders?!“ Krebs mit Alltag, Alltag mit Krebs. Zwischen Mythos und Wahrheit. Ohne Carpe Diem und mit viel Wirklichkeit. Was auf der Zunge liegt und einfach mal raus muss. „Gibt´s das nicht mit Musik dazu?“   


„Leider hat sich der Verdacht bestätigt: Es ist ein Tumor und wir können nicht operieren.“ 

Lebensverändernde Momente stellt man sich irgendwie anders vor. Man erwartet einen epischen emotionalen Ausbruch, Tränen, Wut, 30 Mal „Scheiße“ – oder dieses Vorbeiziehen von Bildern vorm geistigen Auge. Mindestens aber die passende Hintergrundmusik im Kopf. Man erwartet einen Filmmoment. Was auch sonst, wenn man von einer Sekunde zur nächsten in ein neues Leben geschmissen wird, das so anders ist, als der Alltag, den man bis eben kannte. Entschuldigung, wo bitte steht die Kamera?“

In Wahrheit läuft das ganz anders mit den lebensverändernden Momenten.

Man hört zu, man nickt, der Arzt geht, man bleibt zurück. Nimmt die Hand neben sich, starrt eine Weile auf die verschlossene Tür, steht auf. „Eine rauchen?“  

Und dann qualmt man in die Stille. Keine Musik untermalt den Augenblick. Die Tragödie, sie hat in Wirklichkeit keinen Soundtrack.

Man – das bin ich. Anfang 30, gerade so angekommen in einem Leben, das mir ganz gut gefällt. Ich habe keinen Krebs. Der Tumor, der wuchert im Bauch meines Freundes, gleichzeitig Lieblingsmitbewohner und bester Freund, Familie seit 9 Jahren. Und das Leben, in dem ich grad so angekommen war, ist in diesem letztendlich so einfältigen und unspektakulären Moment zum Schlussakt gekommen.

Und dann funktioniert man im neuen Alltag, von jetzt auf gleich. Erstaunlich was man so mitmacht. Oder aushält.

„Ist ein Tumor.“ Die Blicke kann man verstehen. Die Gespräche nur so lange aushalten, bis der erste fragt: „Wie machst Du das?“. Mitgefühl, man weiß das. Wäre da nicht der mitschwingende Subtext: Ich könnte das nicht.“ You. Don´t. Say. Keiner kann das und trotzdem machen es Tausende. Des Volkes größter gemeinsamer Nenner: Krebs und all seine Freunde.

Was auch sonst als „Musste durch“. Sachen packen und hasta la never? Der Tumor wuchert im Bauch meines Freundes und am Ende kranken daran doch zwei Menschen. Die Grenzen zwischen Tragödie und absurdem Drama – fließend.

Das Drehbuch dafür schreibt uns die Medizin. Seit mehr als 2 Jahren hält sie in Schach, was nicht in Schach zu halten ist. Nimm das, Tumorito!

Also auch: Seit mehr als 2 Jahren weiß ich nicht, was die nächste Woche bringt. „Wo sehen Sie sich in 6 MonatenEinem Jahr? Fünf Jahren?“ Das Leben hat sich vom Leben selbst über den Haufen werfen lassen. Kinder? Eventuell nicht. Karriere? Innehalten. Reisen? Mach Du mal bitte.

Man lebt im Jetzt. Denn jetzt ist noch ok. Chemo hin, Nebenwirkungen her. Morgen ist auch ein Tag. Stimmt doch, oder…? Ich weigere mich, Besitz anzuschaffen. „Neue Balkonmöbel“, frage ich mich. „Brauchst DU die denn noch?“  Manchmal ist aus dem „Wir“ längst schon „Ich“ geworden. Immer häufiger erwische ich mich, für das danach zu planen, Auswege zu suchen. Weltreise, Umzug, Neuanfang? Manchmal überfällt die Panik, wenn eine Nachricht unbeantwortet bleibt… „Die alten Möbel tun es noch ein Jahr.“

„Fahrt doch weg, bisschen Abwechslung, mal Abstand. Trivia: Die Tragödie ist nicht nur still, sie hat auch keinen Bock auf Carpe Diem straight outta Hollywood. Koffer packen und los. Jetzt nochmal ordentlich das Leben genießen, den Abenteuern hinterher, bloß keine Zeit verschwenden…

„Oxy-Cocktail, weder geschüttelt noch gerührt, Glas Wasser dazu. Drogenrausch? Not so much. Und trotzdem, ne Therapie gibt´s gratis dazu. Energie wird zusammen mit Schmerz in Chemie erstickt. Und überhaupt – Bekenntnisse eines Allein-Verdiener-Haushalts: Wenn der Tod mit Mitte 30 an die Tür klopft, war im Normalfall keine Zeit, um schon mal das Kleingeld für den Lebensabend zur Seite zu legen. Dem Abenteuer hinterher am Arsch!

Es ist nämlich so: Carpe Diem ist einfach nicht mehr als die romantische Storyline, die dem gesunden Kinobesucher die Hoffnung geben soll, dass das mit dem Tod gar nicht so schlimm wird, wenn wir es nur richtig angehen. Hollywood und seine Geschichten. Märchen sind halt besser als Tragödien.

Wahrscheinlich deshalb hat die Wirklichkeit auch keinen Soundtrack. Krebs-Anhängsel-Pro-Tipp: Hat man die Kopfhörer im Ohr, liegen die Taschentücher besser auf Anschlag.

Denn wie sich herausstellt, erträgt die Tragödie einfach keine Musik. Es qualmt sich ruhiger in die Stille.

 


 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*