“Ich versuche mein Leben in Ordnung zu bringen.”
Das habe ich neulich so gesagt, zu Menschen, die für einen Moment, so schien es, vergessen hatten, wer vor ihnen steht. Denn alle taten das, was normale Menschen auf so einen absurd dämlichen, hochtrabenden Satz eines Mittdreißigers eben so tun: Lachen.
Das passiert manchmal, ich nehme an, weil ich nicht unbedingt einen “Witwen-Vibe” aussende in meinem täglichen Sein. Kurz will ich dann schreien und sagen, “Hallo, guck doch mal, ich bin´s, Verzweiflung mein Name.” Mach ich nicht. Ist ja auch nicht so. Mein Name ist Ina und ich bin nicht verzweifelt. Ich bin durcheinander. Ich hab ne fette Wunde mitten auf der Brust. Ich bin auf der Suche. Ich bin irgendwo verloren gegangen. Und nun bin ich mein eigener Suchtrupp.
Ich suche Menschen. Ich suche zu Hause. Ich suche die gute Seite. Ich suche, was ich mal hatte und weiß, dass ich es so bald wohl nicht finde. So ziemlich alles hat seine Form verloren, nichts passt mehr richtig aufeinander. Ich versuche Ordnung zu schaffen im Chaos.
Ich ordne Beziehungen – neue wie alte, enge wie ferne. Ich treffe Menschen wieder, von denen ich dachte, ich sehe sie nie wieder. Ich trinke Kaffee mit Leuten, von denen ich mal glaubte, ich hätte ihnen nichts zu sagen. Ich finde Menschen, die ich gerne früher kennengelernt hätte. Einer sagt: “Bier?” Ich schreie: “Ich hol!” Ich tinder mich so durch mein soziales Umfeld, wische nur nach rechts und nehme alles mit, was ich kriegen kann. Ich finde Ablenkung in großen Herzen, aber auch in den kleinen.
Ich ordne meine Wohnung. Ich plane, ich schleife, ich schraube. Kaufe Kissen und Farbe. Fahr zu IKEA, nur um eine Blume zu besorgen. Ich werde traurig, wenn die Tulpen verblühen. Ich lasse schlaue Worte starker Menschen auf Leinwand drucken, die mir für immer was sagen sollen. Ich stürze mich in DIY-Projekte, bis eine kleine Oase entsteht. Die Endorphine drehen durch – wie schön sieht das denn hier aus bitte. Für einen Augenblick bin ich zufrieden, dann kommt die nächste Unruhe und mit ihr die Idee, denn das Unfertige ist nicht Fertig.
Und dann erzähl ich davon. Aber warum eigentlich? Wegen “Guck mal, ich trinke Bier. Guck mal, ich bin unterwegs. Guck mal, ich wohn so schön.”? Wohl kaum. Ich kompensiere. Abwesenheit. Ich mach ein Foto und erzähle, weil ich nach 10 Jahren am Ende des Tages niemanden mehr da hab, der mich fragt oder einfach so zuhört. Ich entwöhne mich. Ich ent”wir”e mich. Ich bringe neue Ordnung in dieses dauerhaft ungewohnte Chaos.
Tiefenpsychlogisch lieg ich da wie ein offenes Buch. Ich werfe mich hinein in das Irgendwas. Ich halte meinen röchelnden Motor am Laufen. Ich versuche mich mit der Uhr zu drehen, die aber einfach viel schneller ist. Mich holt von hinten immer wieder die Vergangenheit ein.
Ich suche die gute Seite, die nächste, also laufe ich mit offenen Augen weiter. Das klingt so einfach, wie es gar nicht ist. Ich könnte auch schlafen, den ganzen Tag. Mein Herz schlägt unregelmäßig im 5/8-Takt. Oft ist die erste Frage, die ich mir morgens stelle: “Wieso sollte ich?”. Aufstehen. Und auch wenn ich mir selbst keine schlaue Antwort geben kann, weiß ich, dass ich im Bett liegend erst recht nichts finden werde. Also steh ich auf und ziehe meinen eigenen Suchtrupp hinter mir her. Wir suchen uns Aufgaben für den Tag, wir beschäftigen uns. Die Ergebnisse werden vielleicht erstmal nichts besser machen, aber zumindest alles etwas lebendiger. Ich treffe Menschen, die mich zum Lachen bringen und verbringe Zeit in einer Umgebung, die einfach erstmal nur schön aussieht. Auch eine Wunde heilt zunächst oberflächlich.
Und manchmal schlägt mein Herz in diesen Momenten sogar schon wieder im 4/4-Takt. Der Suchtrupp und ich verlieren uns dann kurz, halten nicht mehr aneinander fest, ich stehe stabil und gucke nach vorn, mache einen Schritt in die richtige Richtung. Für eine Weile bewege ich mich wieder im Einklang mit der Uhr. Noch für eine ganze Zeit werden das Augenblicke bleiben. Das ist ok. So lange ich versuche zu stehen, habe ich keine Angst zu fallen.
“Ich versuche mein Leben in Ordnung zu bringen.” Keine Ahnung, wie ich in einem solchen Klischeesatz gelandet bin. Wie wuchtig der aber ist, wenn er wahr ist, zieht mir selbst die Schuhe aus.