Mitte 30 mit dem Tod des einen Menschen konfrontiert zu werden, der es eben am allerwenigsten sein darf, ist nicht nur aus dem Offensichtlichen ziemlich kacke. Es ist auch ziemlich kacke, weil kaum einer um dich herum Ahnung hat, wie man damit umgehen soll. Noch schlimmer eigentlich: Lieber wär’s ihnen wahrscheinlich, besser nicht zu viel zu erfahren. 


Sitzen ein paar Bekannte an einem Tisch, erzählt einer: “Good news, wir bekommen ein Kind” und alle anderen so: “Ahh, is ja toll, wie schön, gratuliere, erzähl uns alles! Welcher Monat? Wisst ihr schon was und wie überhaupt soll es heißen? Heiratet ihr jetzt? Lass mal anstoßen, oder?!” Fragen über Fragen. Life of a thirty-something. Wundervoll, ich bin kurz euphorisiert, freue mich ehrlich mit und denke dann heimlich: “Leute, bad news, sterben ist nicht so geil, alleine sein auch super-schwierig, aber guckt mal, ich sitze trotzdem hier und lachen kann ich auch”. Auch das Leben eines thirty-something. Aber keine Fragen über Fragen, wie das alles geht. Empathie funktioniert nicht gleich, mitfreuen und mittrauern sind zwei paar Schuhe. Und die hat uns die Gesellschaft angezogen. Denn über Trauer spricht man nicht, das ist doch was Stilles, ja fast Intimes. Was für Familie und beste Freunde. Auf jeden Fall zu persönlich!

Bullshit.

Mit jeder verkündeten Schwangerschaft geben wir freimütig bekannt, dass es in der Kiste ziemlich rund läuft. Zu persönlich ist bei Lebensereignissen nicht immer ein Gradmesser.

Bullshit ohne Vorwurf. Denn wahrscheinlich wissen wir es ja einfach nicht besser, vermuten einfach, dass es dem Traurigen nicht helfen kann, das Thema – in welcher Form auch immer – anzusprechen. Was wissen wir schon, was der alles fühlen muss. Also antizipieren wir etwas, von dem wir keine Ahnung haben und entscheiden, dass ein “Wie geht´s dir” zu banal und ein “Kann ich dir irgendwie helfen” zu absurd ist.

Wir lassen den Elefanten also im Raum stehen, bis er irgendwann wieder von selbst verschwindet. So wie die Zeit ins Land geht, wird auch der Elefant irgendwann das Weite suchen.

Keine Frage, Trauer ist persönlich und jeder empfindet sie anders und für Außenstehende (für Innenstehende übrigens auch)  gibt es kein Handbuch. “Was, wenn ich was Falsches sage?” Good news, people: Du musst schon ein ziemlicher Idiot sein, ohne Gefühlskompass und einem Herz aus Stein, um überhaupt was Falsches sagen zu können. Faustregel: Alles in der Kategorie “Dumm gelaufen” passt nicht.

Es gibt Signale, mit denen der Traurige zeigt, wie offen er mit dem Thema Tod und Trauer und Weiterleben umgeht. Ich für meinen Teil suche mir mein Ventil, erzähle weiterhin kleine Geschichten von 10 Jahren bae und mehr denn je kleine Wahrheiten aus drei Jahren tumorito. Und ich nutze bewusst öffentliche Kanäle, um die diffusen Gefühle, die unzähligen Erkenntnisse, die neuen Alltäglichkeiten und das Leben nach auf Wiedersehen zu teilen.

Warum? Therapie, Baby. Weil ich soviel loszuwerden hab. Weil der Kopf voll ist und das Herz schwer. Weil ich sagen will, was mich beschäftigt. Aber weil ich nicht jedem das Gespräch aufzwingen kann. Hab’s versucht, endete meist unglücklich. Denn ich hab jetzt kapiert, dass der Umgang mit der Trauer anderer eben auch persönlich ist. Es braucht superviel Mut, sich einem Schicksal zu stellen, sich mit Traurigkeit zu konfrontieren – eben dahin zu gehen, wo es weh tut. Da wird die Frage, ob sich der Betroffene das vielleicht wünscht, schnell nebensächlich und man schiebt sich aus Selbstschutz mit seiner Angst ins Zentrum. Das ist ok. Aber eins verdrängt man dabei: Vielleicht würde dieses Gespenst der Traurigkeit ja auch viel weniger beängstigend sein, gar verschwinden, würde man mich fragen.

Würde man mich fragen, würde man vielleicht was für´s Leben lernen.
Und für´s danach. Let me be your Pilotprojekt.

Also zurück zum Ursprung dieser Seite, derzeit eher in kurzen Gedanken auf anderen Kanälen: “Ich schreibe, du liest, keiner redet”. Denn für mich bedeutet nicht zu erzählen irgendwie auch, so zu tun, als wär da nix gewesen, meine Geschichte zu verschweigen. Aber das wiederum ist unmöglich und falsch und einfach uncool. Denn mir ist inzwischen ziemlich klar, dass wir eben alle die Summe unserer einzelnen Teilchen sind. Zu jeder Zeit, an jedem Ort, in jedem Umfeld. Wir können das nicht einfach ablegen. Und folglich können wir uns im Umgang miteinander diese Teilchen auch nicht aussuchen: Wir können eben nicht lautstark an den guten Momenten anderer teilhaben, aber die schlechten Momente schweigend begleiten. Was dabei außer Frage steht: Ich merke jedes Mitgefühl und weiß das zu 100 Prozent zu schätzen! Wahr ist aber auch: In den schlechten Momenten brauchen wir erst recht jemanden, der da steht und winkt, immer wieder winkt. “Weißte was, ich seh dich und guck auch nicht weg.” Es ist ziemlich egal wer – because it takes a village. Und wenn´s der Hausmeister ist, der mir im Hausflur immer mit einem offenen Ohr und einem simplen “geht´s ihnen denn einigermaßen gut?” begegnet. Es ist profan, aber I am feeling it.

Wir sind die Summe unserer einzelnen Teilchen und darum ist es für mich eben auch weiterhin selbstverständlich und wichtig mit den Menschen, die mir am Herzen liegen, auf ihre Babies und Hochzeiten und Karrierewege anzustoßen. Auch wenn es natürlich immer ein Stich ins Herz ist – so lange ich das Gefühl habe, dass meine Geschichte genauso gehört werden will, sitzen wir mit unserem Gepäck doch alle im selben Boot. Nebenher schwimmen jedenfalls ist mir längst zu anstrengend. Viel anstrengender als mitzurudern.

Life of a thirty-something. Es hat auch wirklich nie jemand gesagt, dass das mit dem Leben irgendwie einfach wäre. 


4 Replies to “Geht dahin, wo´s weh tut.

  1. Mal hier statt auf Facebook, weil ich keine Lust habe, dass das jemand einfach nur liked statt selbst was zu schreiben.

    Ich lese hier mit.

    Und: kacke.

    Darüberhinaus weiß ich nicht wirklich, was ich zu der ganzen Situation sagen soll.

    Ich hatte gar abseits vom Suff nicht so viel mit Marcus zu tun, aber das linke gekrantel auf Facebook hat mich doch inspiriert, selbst den Mund auf zu machen und mit ihm zusammen in Facebook-Kommentaren Nazis zu triggern hat Spaß gemacht. Auch schon wieder Jahre her.

    Hoffe es geht dir so gut, wie es halt gehen kann. Und dass dir das Schreiben von diesen Blogbeiträgen hilft. Wie gesagt: mindestens einer liest hier mit.

    Cheers,
    Lenz

  2. Hallo,

    ich habe heute Fritz gehört und bin so hierher gekommen.
    Deine Erfahrungen decken sich in Sachen Trauer zum Teil mit meiner. Mein Sohn ist mit 9 Monaten gestorben und keiner hatte nen Plan was er machen soll. So was passiert doch nicht bei uns. Aber ich hätte auch keinen Plan gehabt. Mittlerweile wissen wir mit wem wir gut reden können und wer das auch aushält. Und auch ich streue nach wie vor Geschichten unseres Sohnes in Gespräche.

    Schreibe weiterhin deine Gedanken auf. Mir hat das private schreiben auch geholfen.

    Viele Grüße aus dem Speckgürtel Berlins. Antje

  3. Hey.
    Ich finde es wirklich bemerkenswert dass du so offen darüber redest. Mein Freund ist vor 1 Monat plötzlich verstorben mit 37, Schlaganfall…
    Genauso wie du es beschreibst fühle ich mich gerade und die Menschen in meiner Umgebung wissen zum Teil auch nicht wie sie damit umgehen sollen.
    Deine Geschichte ist unfassbar und du hast mir gezeigt dass ich nicht alleine bin. Ich wünsche dir viel Kraft und das ich nur ansatzweise so stark bin wie du…
    Liebe Grüße Saskia

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*